403 Seiten mit internen Reden und Direktiven zeigen, mit welcher Kühle und Härte die Führung der in China herrschenden Kommunistischen Partei gegen muslimische Minderheiten vorgeht. Es ist bereits seit geraumer Zeit bekannt, dass die KP bis zu einer Million ethnische Uiguren und Kasachen in der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas interniert hat. Menschen dieser ethnischen Minderheiten sind mit den Türken verwandt, viele fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen unterdrückt. Die New York Times gelangte nun an Regierungsdokumente, die erstmals aufzeigen, wie die Parteielite muslimischen Extremismus diskutiert und wie sie dazu kam, die Masseninternierungen anzuordnen.

Vor rund eineinhalb Jahren konnten westliche Wissenschaftler anhand öffentlich zugänglicher Regierungsakten und mittels der Auswertung von Satellitendaten belegen, dass in Chinas Nordwesten große Internierungslager unterhalten werden. Anfangs bestritten Chinas Verantwortliche das. Als es nicht mehr zu leugnen war, bezeichnete man die Lager als Weiterbildungszentren. So etwas wie Berufsschulen nannte sie ein Außenamtssprecher.

Die chinesische Regierung spricht von Bildungszentren, die gegen eine islamistische Radikalisierung helfen würden. Der Zweck der Lager ist aber ein anderer: Die Regierung in Peking wirft den muslimischen Volksgruppen Separatismus und islamistischen Terror vor. Deswegen sollen die Menschen gezwungen werden, ihre kulturelle Identität, Religion und Sprache aufzugeben

Unter Einsatz der "Organe der Diktatur"

Selten werden Akten öffentlich, die die interne Kommunikation der diktatorisch regierenden KP Chinas aufzeigen; die Führung hält sich stets bedeckt, vor dem eigenen Volk wie vor dem Ausland. Das Material der New York Times ist allein deshalb herausragend. Fast 200 Seiten der Materialsammlung sind laut Times Reden von Xi Jinping sowie Chen Quanguo, seit 2016 Parteichef der Region Xinjiang, und dessen Stellvertreter und Sicherheitschef von Xinjiang, Zhu Hailun. 161 Seiten sind Direktiven und Befehle darüber, wie die Muslime zu kontrollieren seien und weitere 44 beschreiben Ermittlungen über lokale Beamte, die mit den Lagern zu tun hatten.

Aus den Dokumenten geht hervor, dass Parteichef Xi Jinping die Einrichtung der Lager zwar nicht direkt angeordnet, sie aber initiiert hat. In mehreren Reden aus dem Jahr 2014 – 2012 war Xi KP-Chef geworden, 2013 Präsident – hatte er unter Einsatz der "Organe der Diktatur" eine Auslöschung des radikalen Islam in Xinjiang angeordnet. Dabei  solle "keine Gnade" gezeigt werden. Es sei ein "umfassender" Kampf gegen Terrorismus, Infiltration und Separatismus notwendig. In seinen Reden verwendete Xi auffällig oft medizinisches Vokabular, er verglich islamistischen Extremismus mit einem Virusinfekt, an anderer Stelle mit einer Droge, seine Bekämpfung bedürfe eine Zeit schmerzhafter Behandlung, so der Parteichef.

Xi hatte im April 2014 die Region Xinjiang besucht, aus dieser Zeit stammen auch seine Reden zum Thema. Ein paar Wochen zuvor waren bei einem Anschlag militanter Uiguren in einem Bahnhof der südwestchinesischen Stadt Kunming mehr als 150 Menschen niedergestochen und 31 getötet worden. Am letzten Tag von Xis viertägigen Aufenthalt in Xinjiang 2014 sprengten sich zwei Uiguren vor einem Bahnhof der Stadt Ürümqi in die Luft und verletzten fast 80 Menschen. Kurz nach seinem Besuch warfen Attentäter Granaten auf einen Gemüsemarkt in Ürümqi und töteten mindestens 39 Menschen. Sorgen bereitete Xi laut den Akten der New York Times auch die Tatsache, dass sich die USA zunehmend aus dem benachbarten Afghanistan zurückziehen würden und so vermehrt Terror nach China gelangt sei.