Leih-E-Scooter sind besser als ihr Ruf
Wenn E-Scooter in den Medien und der öffentlichen Debatte auftauchen, dann meistens in einem negativen Kontext. Mal verbannt wieder eine Stadt die Roller, weil sich zu viele Bewohner über sie beschweren; mal liest man von Unfallstatistiken oder Fahren unter Alkoholeinfluss; und immer wieder liest man auch von E-Scooter-Fahrern, die eine Abkürzung über die Autobahn nehmen wollen. Und für alle Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer gleichermaßen sind die E-Scooter oft vor allem eines: Im Weg. Verschiedene Umfragen belegen: Die Mehrheit der Deutschen hat kein positives Bild von den Leih-E-Scootern.
Dabei gibt es auch Vieles, das für die Roller spricht. E-Scooter, selbst die Verleih-Modelle, können ein wertvoller Beitrag zur urbanen Mobilität sein und sind sogar deutlich besser als ihr Ruf. Ich nutze sie mittlerweile regelmäßig und möchte hier mal eine Lanze für die unbeliebten Roller brechen. Wer die Möglichkeit hat, sollte das Auto einfach mal stehen lassen und sich klarmachen, wie flexibel man mit der Kombination aus ÖPNV und Scooter-Sharing eigentlich ist.
Inhalt
Günstiger als gedacht, wenn man weiß wie!
Bevor ich zu den Vorzügen komme, will ich eine Sache direkt mal ausräumen, nämlich, dass es zu teuer sei, regelmäßig mit Leih-Scootern zu fahren. Denn selbst, wenn man den E-Scootern eine Chance geben will, schreckt viele der Preis ab. Die Flexibilität mag ja toll sein, wenn man aber selbst bei kurzen Entfernungen mehr zahlt, als für eine Busfahrkarte für die gleiche Strecke, dann sind die Roller schwerlich eine dauerhafte Lösung. Hier hat sich aber in den letzten Jahren einiges getan und dank Abo-Modellen und Freiminuten sind die Preise mittlerweile fair.
Als die ersten Scooter-Sharing-Unternehmen in Deutschland starteten, gab es zwar geringe Unterschiede beim Preis, alle bewegten sich aber im gleichen Bereich. Das Entsperren des Rollers kostete einen Euro, jede gefahrene Minute etwa 20 Cent. 5 Minuten Fahrt kosteten dann 2 Euro; fuhr man 20 Minuten am Stück, wurden 5€ fällig. Während das für eine einmalige Fahrt vielleicht noch okay ist, summiert sich das natürlich schnell auf; dass sich das tägliche Pendeln per Leihscooter lohnen sollte, war niemandem zu erklären. Heute ist das anders.

Dank Minutenpaket und Abos zahlt man für 20 Minuten E-Scooter-Fahren (oder rund 5 Kilometer) teilweise nur noch 2 Euro. Der „Nachteil“ hier ist, dass man sich vorher mehr oder weniger festlegt und das Abo natürlich aktiv nutzen muss, damit es sich finanziell lohnt. Aber dass E-Scooter teuer seien, würde ich heute so nicht mehr unterschreiben – anders als noch vor 5 Jahren. Nutzt man die verschiedene Pässe überlegt, dann geht selbst regelmäßiges Fahren mit den Leih-Scootern nicht ins Geld.
Unschlagbare Praktikabilität im Alltag
Ich fahre gerne Bus und Straßenbahn, aber was ich überhaupt nicht mag, sind volle Busse und Straßenbahnen. Oder verspätete. Oder solche, die gar nicht erst kommen. Ich weiß nicht, wie es in eurer Stadt um den ÖPNV bestellt ist, aber die KVB in Köln hat sich in den letzten Jahren nicht den besten Ruf erarbeitet. Die Taktung der Bahnen wird teilweise reduziert und Verspätungen und Ausfälle sind auf meiner Pendelstrecke leider nichts Ungewöhnliches.
Besonders im Sommer, wenn es zusätzlich auch noch unangenehm heiß ist, macht mir Bahnfahren so überhaupt keinen Spaß. Und dann zahle ich die zwei Euro für den E-Scooter-Trip liebend gerne. Die Zeit, die ich für die Strecke benötige, ist immer die gleiche; von der Verkehrssituation bin ich komplett unabhängig, egal ob Berufsverkehr oder Bahnausfall. Auf Radwegen gibt es keinen Stau. Ich kann deshalb sicherer planen, wenn ich einen Anschlusszug am Bahnhof bekommen muss, und komme Abends oder Nachts einfach und zuverlässig nach Hause, wenn Busse und Bahnen seltener fahren, und zahle dabei deutlich weniger als für Taxi oder Uber.
Vor zwei Wochen musste ich zu Flughafen, mein Zeitplan war knapp bemessen, ich musste früh los und ich durfte den Zug zum Flughafen auf keinen Fall verpassen. Mein Handgepäck bestand nur aus einem Rucksack, also bin ich natürlich mit dem E-Scooter die 15 Minuten zum Bahnhof gefahren.
Und der Vorteil beim Sharing-Konzept ist ja, dass ich den Roller nach der Fahrt eben sofort wieder los bin und ich mir keine Gedanken machen muss, wie ich ihn transportiere oder wo ich ihn sicher verstaue. Einen geeigneten Stellplatz finden ist kein Problem – auch wenn damit zugegeben manche Leute ein Problem zu haben scheinen, wie der gelegentliche E-Scooter auf dem Bahnsteig oder im Hauseingang beweist.
Vorteil gegenüber Fahrrad
In den Sommermonaten (und an allen anderen warmen Tagen im Jahr) haben E-Scooter noch einen weiteren Vorteil, besonders gegenüber dem Fahrrad. Ich sollte an dieser Stelle betonen, dass ich Fahrräder grundsätzlich immer für die bessere Alternative halte, egal ob es ein Leih-Rad oder das eigene ist. Es ist gesünder und verbraucht nicht nur weniger, sondern gar keine Energie.
Es stimmt aber eben auch, dass man auf dem Fahrrad leicht ins Schwitzen gerät. Besonders macht sich das mit einem Rucksack auf dem Rücken bemerkbar. Auf dem Weg ins Büro oder zu wichtigen Terminen kann man das nicht gebrauchen. Und nach einem schon anstrengenden Tag will man vielleicht auch einfach nicht noch eine halbe Stunde Fahrrad fahren. (Und falls doch, dann gibt es auch immer noch Leih-Fahrräder – für die gelten fast alle hier aufgezählten Punkte ebenso.) Was auch immer die Gründe sind – E-Scooter-Fahren ist weniger anstrengend als Radfahren.
E-Scooter sind übrigens nicht gefährlicher als Fahrräder – zumindest gibt es keine eindeutigen Hinweise darauf. Wie viele Unfälle pro gefahrenen Kilometer passieren, wurde für E-Scooter noch nicht erfasst, was den Vergleich schwer macht. Die absoluten Unfallzahlen steigen zwar an, was aber mit der steigenden Beliebtheit zu erklären ist. Außerdem ist der Anteil der Unfälle mit Personenschaden, bei denen der Fahrer alkoholisiert war, bei E-Scooter fast doppelt so hoch wie bei Fahrrädern. Auf E-Scootern wird auch deutlich seltener ein Helm getragen als auf dem Fahrrad. Beides sind nochmal ihre eigenen Probleme bei der Nutzung der Roller, aber kein Gründe, warum das Fahrzeug generell gefährlicher wäre. Insgesamt gibt es nach wie vor keine ausreichend gute Quellenlage in dieser Hinsicht. Wichtig ist, umsichtig zu fahren, sich an die Regeln zu halten und auf Autos zu achten, die für alle anderen Verkehrsteilnehmer – Radfahrer, E-Scooter-Fahrer und Fußgänger – immer noch das größte Risiko darstellen.
Fahrkomfort: Einige der besten E-Scooter-Modelle sind Leih-Scooter
Als jemand, der regelmäßig verschiedenste E-Scooter ausprobiert und schon auf dutzenden Modellen gestanden hat, muss ich hier auch mal eine Sache besonders hervorheben. Nämlich, dass zumindest einige der Leih-Scooter zu den besten E-Scooter-Modellen auf dem Markt gehören. Hervorheben will ich die die aktuellen Gen-4-Modelle von Lime.
Ich habe wie gesagt unzählige E-Scooter ausprobiert, aber auf keinem Roller fahren ich so gerne wie auf den Lime-Scootern. (Ich muss an dieser Stelle betonen, dass es für diesen Text keine Zusammenarbeit mit Lime gab – ich finde die nur wirklich so gut.) Die Kombination aus dem tiefen Trittbrett mit entsprechend tiefem Schwerpunkt, die schmalen Reifen und vor allem der geschwungene Lenker sorgen für eine extrem angenehme Fahrt. Wo sie anderen, für den privaten Gebrauch erhältlichen E-Scootern noch nachstehen, ist einerseits die Federung, die hier vorhanden, aber nicht auf dem höchsten Level ist, und das Gewicht. Die Roller sind sehr schwer, was für einen privaten E-Scooter extrem unpraktisch wäre, bei Leih-Scootern aber vernachlässigbar ist.
Das gilt nicht für alle Roller, die Tier-Modelle zum Beispiel fand ich immer furchtbar und habe sie bewusst gemieden. Das ist auch nur bedingt Geschmacksache; ein kleiner Lenker und starke Vibrationen während der Fahrt sind keine Qualitätsmerkmale.
Kritik? Ja, aber bitte differenziert
Okay, die teilweise berechtigte Kritik an den E-Scooter möchte ich hier nicht unter den Teppich kehren. Viele, wenn auch bei weitem nicht alle Fahrer gehen nicht besonders gut mit den Rollern um. Das nervt einerseits andere Verkehrsteilnehmer, wenn mal wieder ein Dutzend Scooter vor dem Bahnhof liegen oder auch nur einer quer auf dem Radweg steht. Zweitens ist es aber auch für andere E-Scooter-Fahrer nervig, wenn sie einen Roller entsperren, nur um beim Anfahren festzustellen, dass der Lenker schief sitzt oder das Hinterrad schleift, weil der vorherige Fahrer das Fahrzeug einfach hingeschmissen hat.
Gegen Idioten, die mit Leihfahrzeugen falsch umgehen, kann man wenig machen. Man kann aber mit gutem Beispiel voran gehen und gerade einer der Fahrer sein, die eben rücksichtsvoll fahren und die Scooter auch immer korrekt abstellen. Glaubt mir, ich ärgere mich vielleicht sogar noch mehr über das Fehlverhalten einiger, weil es a) am Ende auch auf mich zurückfällt und ich b) sehe, wie einfach es ist, sich einfach nicht wie ein Idiot zu verhalten und den Roller anständig zu parken.
Übrigens: Wenn ich mal einen defekten Scooter erwischt habe, dann hat mir der Support die Fahrtkosten bisher immer sofort wieder erstattet. Die Reklamation kann man einfach per App einreichen (Wobei ich das noch nicht für alle Anbieter ausprobiert habe).
Manche beschweren sich auch, die Roller würden das Stadtbild zerstören und zu viel Platz einnehmen. Ein schwaches Argument, wenn ein Auto den Platz von zwanzig E-Scootern alleine zum Parken braucht. Was Fußgängern und damit den meisten Menschen Platz in den Städten wegnimmt, sind vor allem PKW, aber sicherlich nicht E-Scooter oder Fahrräder.
Die Roller könnten Teil der Verkehrswende sein
Anfangs fand ich das Scooter-Sharing spannend, dann viel zu teuer und habe daher immer wieder die Flexibilität betont, die vor allem ein eigener E-Scooter bietet. Da mittlerweile leider viele Verkehrsbetriebe die elektrischen Roller aus Straßenbahnen und Bussen verbannt haben (meiner Meinung nach aus falscher Vorsicht, aber das ist ein anderes Thema), schränkt das die Privatmodelle leider wieder etwas ein. Deswegen bin ich mit Scooter-Sharing aktuell wieder deutlich flexibler.
Tatsächlich schaffen die Roller damit auch, was Anfangs ihr großes Versprechen war: Sie machen den ÖPNV attraktiver. Generell geht man davon aus, dass die meisten Menschen nicht vom Auto auf den E-Scooter wechseln sondern ihn als Alternative zu Bus, Bahn, Fahrrad oder eben dem Zufußgehen wählen. Dabei könnten auch viele Autofahrer profitieren, wenn sie sich für die verfügbaren Alternativen einfach mal öffnen würden.
Aus der Perspektive eines Berufspendlers kann ich ehrlich gesagt nicht verstehen, warum nicht mehr Leute die E-Scooter nutzen. Ich fahre nicht täglich mit den Rollern und nicht einmal unbedingt jede Woche, aber eben doch regelmäßig. Situationen, in denen ein Leihscooter die einfachste, bequemste und ja, manchmal auch die schnellste Option ist, gibt es immer wieder.
Bei der richtigen Nutzung könnten sie das große Versprechen, Teil einer Mobilitätswende in Großstädten zu sein, meiner Meinung nach locker einlösen. Ich kann nur jedem, der die Möglichkeit hat, die Roller zu nutzen, dazu raten, es nochmal auszuprobieren. Und nein, sie sollen nicht euer primäres Transportmittel werden. Aber sie sorgen eben dafür, dass man Optionen hat, wenn die Bahn ausfällt oder streikt, das Wetter eigentlich zu warm für den vollen Bus ist oder man keinen Parkplatz in der Innenstadt suchen möchte. Man muss sie eben nur nutzen.
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